Dr. Viola Hebeler
Verhalten wird von 3 Dingen beeinflusst:
Die Erbanlagen sind sind quasi der Bauplan des Körpers. Chromosomen bestehen aus der vielfach gefalteten Doppelhelix der beiden DNA-Stränge (von jedem Elternteil eine). Entlang der DNA-Stränge legt sich die RNA an, die dann für die Proteinsynthese verantwortlich ist. So wird der ganze Körper anhand des von den Genen vorgegebenen Bauplanes geschaffen. Umwelteinflüsse bedingen modulierende Veränderungen im Verlauf des gesamten Lebens.
Zur Bewegung benötigt man Knochen und Muskeln, zum Denken das Gehirn. Jegliches Verhalten hat seinen Ursprung im Gehirn. Die Größe des Gehirnes, die Ausbildung der Gehirnareale, aber auch Details des Neurotransmitterstoffwechsels sind sind genetisch determiniert.
Die Größe der Unterschiede entspricht der Weite der Verwandtschaft. Ein Hund hat ein anderes Gehirn als ein Wolf und auch Hunde untereinander unterscheiden sich in Mikrostruktur und Neurotransmitterkonzentrationen verschiedener Gehirnareale. Nachgewiesen wurde dies beispielsweise von Shoemaker und Aaron (1992), die als Ursache für unterschiedliche Verhaltensweisen von Border Collies, Huskies und Sarplaninacs unterschiedliche Konzentrationen von Katecholaminen in den entsprechenden Hirnarealen nachweisen konnten.
Verhaltensgenetik unterscheidet zwischen artspezifischem Verhalten, Rasseverhalten und individuellem Verhalten.
Artspezifisches Verhalten ist das Verhaltensrepertoire, das allen Mitgliedern der Art eigen ist. Das sind z.B. das Fortpflanzungsverhalten, das Brutpflegeverhalten und anderes. Instinkte sind artspezifisch. Artverhalten ist sehr stabil. Stabil vererbte Merkmale haben eine hohe Dominanz oder sind sehr homozygot, das bedeutet, dass es innerhalb der Population wenig genetische Variationen gibt. Der ererbte Teil des Verhaltensrepertoires wurde über Jahrtausende von der Umwelt selektiert, das nützlichste Verhalten hat sich durchgesetzt und über eine große Homozygotie im Artgenom verankert.
Durch menschliche Selektion wurden die verschiedensten Hunderassen geschaffen. Rassen sind viel jünger als Arten. Die Tierart Hund ist ca. 10.000 Jahre alt, die bekannten Hunderassen sind maximal ein paar Jahrhunderte alt, viele nur wenige Jahrzehnte. Das hat zur Konsequenz, dass rassetypisches Verhalten meist instabiler vererbt wird als das Artverhalten. Rassespezifisches Verhalten hat natürlich eine erbliche Grundlage, ansonsten wäre es nicht möglich gewesen, die verschiedensten Arbeitshunderassen (Hüte-, Jagd-, Zug- oder Schutzhunde) zu schaffen. Genetische Grundlagen rassetypischen Verhaltens wurden vielfach nachgewiesen (Scott & Fuller 1965, Feddersen-Petersen 1992, u.v.a.). Die Rassespezifität ist allerdings so instabil, dass sie nur unter permanentem Selektionsdruck erhalten bleibt. Ursprünglich vorhandenes „typisches“ Verhalten bestimmter Rassen (z.B. Arbeitsveranlagung) geht relativ schnell verloren, wenn sich die Selektionskritieren ändern. War früher der Nutzeffekt des Hundes bestimmend für die Selektion, so sind es in unserer Zeit zumeist optische Kriterien oder Ansprüche an den Hund als Freizeitpartner. Bestätigt wurde dies u.a. von Svartberg (2006) bei einer Datenerhebung von 13.000 Hunden aus 31 Rassen. Typisches Rasseverhalten gibt es daher nur, wenn entsprechend stringent darauf selektiert wird. Populationsgenetisch lässt sich diese Situation damit erklären, dass der Genotyp einer Rasse in Bezug auf eventuelles spezifisches Verhalten durch einen hohen Grad an Heterozygotie gekennzeichnet ist. Dies erklärt die individuellen Variationen, bzw. familiär gehäufte Eigenschaften. DAS rassespezifische Verhalten gibt es nicht. Man bezeichnet damit Verhaltensweisen, die innerhalb einer bestimmten Rasse mit einer höheren Wahrscheinlichkeit auftreten als außerhalb. Populatonsgenetisch ist dieser Zustand durch eine höhere Homozygotie für bestimmte Merkmale innerhalb der Rasse im Vergleich zu andersrassigen Hunden gekennzeichnet.
Die Unterschiede in der genetischen Grundausstattung sind also fließend. Je jünger ein selektiertes Verhalten ist und je mehr Gene beteiligt sind, umso höher wird der Grad an Heterozygotie bei diesen sein und umso instabiler wird die Disposition vererbt.
Verhaltensmerkmale werden in der Regel über das Zusammenwirken mehrerer Gene vererbt. Für diese Art des Erbganges findet man die Bezeichnungen polygen rezessive Vererbung, polygen additive Vererbung, ebenso wie multifaktorielle Vererbung. Da es sich häufig um Merkmale handelt, die fließend von sehr gering bis sehr ausgeprägt vorhanden sein können, spricht man auch von einer „quantitativen Vererbung“. In diesem Modell wirken die verschiedenen Gene und Umweltfaktoren zusammen und erzeugen eine Prädisposition. Beispiele für derartige Merkmale sind Körperhöhe und –statur, aber auch Verhaltensanlagen wie Intelligenz beim Menschen oder Arbeitsveranlagungen bei Hunden.
Es gelten folgende Annahmen:
Den Anteil der Erbanlagen an der Ausprägung eines Merkmales oder einer Veranlagung nennt man Heritabilität. Heritabilität und Umwelteinflüsse ergeben logischerweise zusammen immer ein Ganzes, was mit 1 oder 100% bezeichnet wird. Bei einem Heritabilitätskoeffizienten von 0,4 (40%) wird also knapp die Hälfte der auslösenden Faktoren von den Genen bestimmt und 60% von der Umwelt. Je weniger unterschiedlich die Umwelteinflüsse innerhalb einer Population sind, umso stärker kommt die ererbte „Grundausstattung“ zum Tragen. Ein Beispiel: bei gleicher Ernährung eines Wurfes wird die Größe überwiegend von den Erbanlagen bestimmt. Setzt man einzelne Welpen extremer Mangelernährung aus, bleiben sie lebenslang kleiner als Geschwister, die normal ernährt werden.
Umgekehrt kann man durch exzellente Umweltbedingungen ererbte Schwachpunkte verdecken. Ein Hund, der eine ängstliche Veranlagung hat, kann durch sehr gute Sozialisation und professionellen Umgang gut im Alltag bestehen. Dies ist für den individuellen Hund positiv, züchterisch kann es zu eklatanten Fehleinschätzungen führen. Populationsgenetisch wäre es sinnvoller, die Schwächen zu Tage treten zu lassen, um sie dann züchterisch bearbeiten zu können.
Im letzten Jahrzehnt ist das Temperament von Hunden in den Fokus der Genetiker gerückt. Dabei wurden verschiedene stabil vererbte Charakteranlagen definiert. Überwiegend genannt werden in der Literatur Anlagen für Ängstlichkeit vs. Unerschrockenheit, Geselligkeit (sociability), Aktivität, Verspieltheit und Aggressivität. Die individuelle Veranlagung für Ängstlichkeit/Unerschrockenheit scheint genetisch mit allen Anlagen außer Aggressivität verbunden zu sein, ihre Heritabilität wird von Saetre et. al. (2006) für Rottweiler und DSH mit 0,25 angegeben. Andere Autoren geben für Ängstlichkeit wesentlich höhere Heritabilitätswerte an. Ängstlichkeit ist ein weit verbreitetes Problemverhalten. Bekannt sind Korrelationen zwischen leichter Erregbarkeit und Ängstlichkeit. Neurophysiologisch drückt sich dies durch erhöhte Konzentrationen von Noradrenalin und Adrenalin in bestimmten Gehirnarealen (limbisches System) aus. Untersuchungen haben bestätigt, dass eine hohe parasympathische Aktivität mit Ausgeglichenheit und niedrigerer Erregbarkeit einhergeht, hohe Ruheaktivitäten des sympathischen Anteils hingegen mit Erregbarkeit und resultierender Ängstlichkeit und/oder Bereitschaft zu aggressivem Verhalten.
Die genetische Disposition für Aggressivität scheint unabhängig von der Vererbung der Veranlagungen für Ängstlichkeit/Unerschrockenheit zu sein. Das würde erklären, warum Aggressivität in so vielen Verhaltenszusammenhängen auftreten kann.
Den konkretesten Beweis für Vererbung von Problemverhalten erbrachten Dodman et. al. (2010), die vermittels Genomanalyse die Zwangsverhalten (compulsive disorder) beim Dobermann auf einen Gendefekt auf dem Chromosom 7 zurückführen konnten.
Die Voraussetzung für eine gezielte Zucht sind genetische Unterschiede zwischen einzelnen Individuen, also unterschiedliche Genotypen, die man bevorzugen oder ausschließen kann (Selektionsdifferenz). Bei allgemeinen Verhaltensmerkmalen kann es schwierig sein, zwischen Umwelteinflüssen und genetischer Varianz zu unterscheiden, bei spezifischem Verhalten (z.B. Arbeitsverhalten) ist es für erfahrene Züchter gut möglich.
Unvorhersehbar ist allerdings, ob eine Eigenschaft stabil oder instabil vererbt wird. Komplexere Verhaltensweisen wie bei der Hütearbeit beispielsweise, „zerfallen“ in kleinere Einheiten, wenn nicht mehr auf die Gesamtheit selektiert wird. Manche von diesen Einheiten werden äußerst stabil vererbt, wie das sogenannte „Auge zeigen“ des Border Collies, das dem Vorstehen ähnlich ist. Überdurchschnittliche Frustrationstoleranz oder ein unermüdlicher Arbeitswille haben eine weit größere Varianz und werden nur bei einem viel kleineren Teil der Nachkommen in erwünschter Komposition vorhanden sein.
Will man als Züchter seine Maßnahmen auf eine wissenschaftliche Grundlage stellen, muss man sich mit den Grundlagen der quantitativen Vererbung vertraut machen.
Je mehr Gene an der Ausprägung einer Disposition beteiligt sind, umso größer ist die Anzahl der Heterozygoten im Vergleich zu den wenigen homozygoten Hunden, seien sie dominant oder rezessiv. Die Verteilung der möglichen Genotypen folgt einer Gauss’sche Normalverteilung mit dominanter Homozygotie an einem Ende und rezessiver Homozygotie am anderen. Der Kurvengipfel liegt in der Mitte bei maximaler Heterozygotie. Bei quantitativer Vererbung kann man davon ausgehen, dass stark ausgeprägten Merkmalen eine hohe Anzahl homozygot vorliegender Genpaare zugrundeliegen. Derartige Merkmalsträger sind, je nachdem, ob es sich um negative oder positive Merkmale handelt, auszuschließen oder bevorzugt einzusetzen. Um die Umwelteinflüsse auf die Zuchtwertbeurteilung zu minimieren, sollten möglichst viele Informationen über nahe Verwandte mit herangezogen werden. Bei kleinem Genpool, der Zuchtausschlüsse verbietet, empfehlen sich gezielte Paarungen anhand einer computergestützten Zuchtwertschätzung oder wenigstens die Erhöhung der Heterogenität.
Die einfachste Empfehlung ist, dem gesunden Menschenverstand zu folgen. Mit einem wiederholt durch Ängstlichkeit oder Aggressivität aufgefallenen Hund sollte man zur Risikominimierung gar nicht züchten. Umwelteinflüsse wie „schlechte Erfahrungen“ werden gern zur Entschuldigung herangezogen, diese Argumentation ist allerdings wenig überzeugend. Wenn es nicht möglich ist, bei einem Hund eine schlechte Erfahrung durch nachfolgende positive Erfahrungen zu überlagern, bestehen Zweifel an der Stabilität des ererbten Temperamentes. Hunde in unserer modernen Welt müssen fehlertolerant sein. Sind sie das nicht, sind sie nicht als Zuchttiere geeignet.
Verhaltensstörungen können erbliche Grundlagen haben. Insbesondere bei familiär gehäuft auftretenden Problemen ist eine züchterische Bearbeitung sinnvoll und nutzbringend.
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Autorin: Dr. Viola Hebeler
Fachtierärztin für Pferde
Breuerkamp 8
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