Einflussmöglichkeiten des Züchters auf das Temperament eines Border Collies

Ein guter Arbeitshund braucht ein stabiles Temperament. Er darf sich nicht von seiner Arbeit ablenken lassen, und muss alle Anweisungen des Schäfers konstruktiv umsetzen. Ein Hund, der Angst vor Verkehrslärm hat, ist beim Umtreiben einer Herde über Straßen kaum zu gebrauchen. Ebenso hat es ein nervöser Hund wesentlich schwerer bei der Ausbildung. Er ist immer etwas abgelenkt durch seine Ängste, und der hohe Blutspiegel an Stresshormonen verlangsamt das Lernen erheblich.

In unserer modernen Gesellschaft ist es notwendig, dass unsere Hunde gelassen mit Menschen umgehen können ohne ängstlich oder gar aggressiv zu sein. Ganz besonders wichtig wird dies, wenn die Hunde in einer Stadt leben müssen. Hunde, die dem nicht gewachsen sind, machen Probleme, werden eher abgegeben und landen häufig im Tierheim oder bei anderen Vermittlungs- und Auffangorganisationen. Diese unerfreuliche Entwicklung lässt sich beim Border Collie in der letzten Zeit verstärkt beobachten. Neben der sorgfältigen Auswahl der potentiellen Käufer im Hinblick auf ihre Eignung hat ein Züchter aber auch einen direkten Einfluss auf die Temperamentsentwicklung der von ihm gezüchteten Hunde. Es liegt auch in seiner Hand, wie das Leben seiner Hunde verläuft.

Der erste Punkt ist die Auswahl der Zuchthunde. Jeder, der sich näher mit arbeitenden Border Collies beschäftigt, weiß, dass unterschiedliche Arbeitsweisen vererbt werden können. Darauf beruht die ganze Zucht von Border Collies. Die Rasse entstand allein aufgrund ihrer speziellen Arbeitsweise, also einem bestimmten Verhalten. Eigenschaften der Eltern lassen sich häufig auch beim Nachwuchs erkennen. Jeder gute Züchter weiß, dass es wenig sinnvoll ist, zwei Hunde, die zu viel Auge haben, miteinander anzupaaren, da die Gefahr besteht, dass der Nachwuchs sich die Schafe nur noch liegend betrachtet. Dass die Zucht auf Arbeitsleistung so schwierig ist, beruht darauf, dass erstens nicht jedes spezifische Verhalten vererbt wird sondern immer nur eine gewisse Anlage, die dann durch die Umwelt individuell geformt wird; und zweitens Verhaltensmerkmale eine geringere Erblichkeit haben als äußerliche Eigenschaften wie Haarlänge oder –farbe. Allgemein kann man sagen, je komplizierter ein Verhalten ist, umso weniger wird es von der Vererbung bestimmt. Einfache Reflexe wie den Saugreflex hat jeder Welpe. Mit dem Erkennen von anderen Hunden als Artverwandten und der Kommunikation mit ihnen, z.B., sieht das schon wieder anders aus. Diese Fähigkeiten sind ganz stark von Erfahrungen abhängig und sind zu einem überwiegenden Anteil erlernt.

Grundlegende Wesenseigenschaften wie Ängstlichkeit werden ebenfalls durch die von den Eltern erhaltene Gene beeinflusst. Es wurde nachgewiesen, dass die Anlage zu (im Vergleich zum Durchschnitt) erhöhter Ängstlichkeit eine für Verhaltensmerkmale hohe erbliche Komponente von bis zu 40% hat. Das bedeutet nicht, dass man beim einzelnen Hund sagen könnte, was ererbt und was erlernt ist. Es zeigt nur die Wichtigkeit auf, diese Eigenschaften in die Zuchtauswahl mit einzubeziehen.

Durch die vielen verschiedenen Ursachen, insbesondere die unterschiedlichen Umweltbedingungen, darf man sich aber nicht zu vorschnellen Verallgemeinerungen in Bezug auf bestimmte Elterntiere verleiten lassen. Hunde gleicher Abstammung haben eben meist auch die gleiche Umwelt als Welpen. Die Tatsache, dass junge Welpen eines Wurfes sich in gleichen Situationen ganz unterschiedlich zeigen können, beruht wesentlich auf ihren unterschiedlichen Genen.

Eine Hauptursache für die, erfreulicherweise selten auftretende Aggressivität von Border Collies gegenüber Menschen ist ebenfalls Ängstlichkeit. Aufgrund ihrer hohen Lernfähigkeit können Border Collies sehr schnell lernen, dass Angriff oft die beste Verteidigung ist. Die Aggressivität wird vom Besitzer als Hauptproblem wahrgenommen, doch Ängstlichkeit ist die eigentlich zugrundeliegende Ursache. Ängstliche Hunde sind immer latent gehemmt. Diese Hemmungen erschweren auch die Ausbildung.

Ausgeglichene Hunde lernen schneller. Sie verzeihen auch Fehler und unvermeidbare schlechte Erlebnisse besser, und sie sind damit nicht so prädisponiert, aus einzelnen schlechten Erfahrungen allgemeine Ängste und Phobien zu entwickeln.

Zusammenfassend kann man sagen, dass es von überragender Bedeutung ist, keine ängstlichen oder unangemessen aggressiven Hunde zur Zucht einzusetzen. Das ist der erste Punkt, den Züchter dazu beitragen können, das die von ihnen gezüchteten Hunde möglichst wenig Probleme in ihrem Leben haben oder bereiten.

Auch während der Trächtigkeit gibt es Einflüsse auf die Entwicklung des Temperamentes. Es gibt wissenschaftliche Studien, die beweisen, dass stressreiche Erfahrungen der Hündin während der Trächtigkeit zu emotional reaktiverem Nachwuchs führen kann. Unter reaktiver ist zu verstehen, dass diese Hunde leichter aus dem inneren Gleichgewicht kommen und auf fremde Dinge eher mit Furcht oder Aggression reagieren als mit neugieriger Annäherung. Dies ist auf die Einwirkung der unter Stress erhöhten Konzentration von Adrenalin und körpereigenen Korticosteroiden, also den Stresshormonen, im Blut der Hündin zurückzuführen. Über den Blutkreislauf durchströmen diese Hormone auch die Gebärmutter und wirken auf die ungeborenen Welpen ein. Es ist daher wenig sinnvoll, eine tragende Hündin hartem Training oder ungewohnter Arbeit zu unterziehen. Insbesondere langandauernder Stress, der vielleicht vom Menschen gar nicht als solcher wahrgenommen wird, ist schädlich. So ist die Vergesellschaftung einer tragenden Hündin mit einer deutlich ranghöheren Hündin zusammen häufig nicht empfehlenswert.

Dies sind natürlich keine allgemeingültigen Grundsätze, sondern jeder Einzelfall muss gesondert beurteilt werden.

Umgekehrt konnte auch gezeigt werden, dass die Nachkommen von Hündinnen, die während der Trächtigkeit viel gestreichelt wurden und in einer entspannten Situation lebten, selbst auch entspannter mit kritischen Situationen umgehen konnten und allgemein ausgeglichener waren.

Dieser positive Einfluss des freundlichen Handlings kann in der Neugeborenenphase fortgesetzt werden. Er aktiviert das parasympathische System, das Entspannung, Verdauung und emotionale Bindung vermittelt und daher einen großen Einfluss auf die erfolgreiche Sozialisation hat.

Neugeborene Welpen verfügen bereits über einen ziemlich gut funktionierenden Geruchs- und Tastsinn, der sich in den nächsten Tagen weiter ausbildet. Wenn man die im letzten Artikel beschriebene Gehirnentwicklung bedenkt, ist es nur logisch, dass man auch diese Zeit bereits nutzen kann, um den Welpen menschlichen Geruch und angefasst werden als etwas zutiefst Normales einzuprägen. Auch hat es sich gezeigt, dass ganz geringgradiger Stress, wie etwa das kurze Aufnehmen eines Welpen aus der Wurfkiste, förderlich für den Umgang mit stressigen Situationen im späteren Leben ist. Beides kann man hervorragend kombinieren und sich zu nutze machen, indem man jeden Welpen täglich kurz auf den Arm nimmt und streichelt. Sorgfältig muss allerdings darauf geachtet werden, dass der Welpe nicht in größere Unruhe kommt und etwa verzweifelt nach der Mutter schreit. Solche Erfahrungen haben den gegenteiligen Effekt und sollten, wenn es nicht aus gesundheitlichen Gründen notwendig ist, unbedingt vermieden werden.

Ebenso sorgfältig muss natürlich darauf geachtet werden, dass man nicht mit verschmutzten Händen oder Kleidern die kleinen Welpen aufnimmt. Das daraus entstehende Infektionsrisiko könnte die nützliche Einwirkung auf das spätere Verhalten bei weitem übersteigen.

Mit der Weiterentwicklung des Welpen sollte ihm eine möglichst abwechslungsreiche Umwelt zur Verfügung gestellt werden. Wie bereits beschrieben, entwickeln sich die Nervenbahnen im Gehirn durch extremes Wachstum und Ausbildung von massenhaft Nervenverbindungen, die dann auf die Wesentlichen reduziert werden. „Wesentlich“ ist für den einzelnen Welpen das, was gebraucht wird. Nervenbahnen, die nicht benutzt werden, werden abgebaut. Ein extremes Beispiel hierzu aus der Forschung betrifft die Sehfähigkeit. Jungen Affen wurde während der Zeit der Entwicklung ihres Sehvermögens jeweils ein Auge 3 Wochen lang zugenäht, so dass kein Licht hineinfallen konnte. Danach wurde das Auge wieder geöffnet, und es zeigte sich, dass die Affen. auf diesem Auge blind waren und blieben. Dies ist natürlich ein abschreckendes Beispiel, aber es macht den zugrundeliegenden Prozess deutlich. „Use it or lose it“ heißt dies anschaulich auf Englisch.

Zusammenfassend kann man sagen, dass Welpen in ihrer Jugend extrem empfänglich für die Verarbeitung von Außenreizen sind. Sie sind sehr offen und nehmen nahezu alle neuen Dinge erst mal als gegeben hin. Es fällt in die Verantwortung der Züchter und Erstbesitzer, für das spätere Leben wichtige Umweltreize in den ersten Lebenswochen und –monaten anzubieten. Der Welpe muss möglichst stressfrei vielen Situationen ausgesetzt werden, mit denen er im späteren Leben konfrontiert wird.


Von einem sicheren „Ausgangspunkt“ lässt sich die Umwelt am besten erkunden …
Dies betrifft nicht nur die unbelebte Umwelt, wie Gewöhnung an Verkehrslärm oder überfüllte Innenstädte wie häufig angenommen wird, sondern auch das korrekte Sozialverhalten Hunden und Menschen gegenüber muss in dieser Zeit trainiert werden. Soll der Hund in einer Familie leben, ist auch der möglichst frühzeitige Kontakt zu Kindern anzuraten. Dies ist meist leicht zu gewährleisten. Wenn man selbst keine Kinder hat, so finden sich für ein kleines Taschengeld immer Nachbarskinder, die die Welpen täglich besuchen, sie streicheln und mit ihnen spielen. Natürlich muss man Kindern genau erklären, was man mit Welpen tun darf und was nicht. Dann ist es aber eine hervorragende Möglichkeit, die Welpen an Menschen und menschlichen Lärm zu gewöhnen.

Ein Welpenauslauf sollte abwechslungsreich gestaltet werden. Unterschiedlicher Boden fördert nicht nur die Stubenreinheit auf glatten Böden, er ist auch für die Ausbildung der Koordinationsfähigkeit wichtig. Deshalb sollten Welpen, sobald sie laufen können, auch Ausflüge in die weitere Umgebung machen können. Bei Untersuchungen an Lippizanern konnte gezeigt werden, dass deren Aufzucht im unwegsamen Karstgebirge von Piber zu einer niedrigen Verletzungsanfälligkeit des Bewegungsapparates im späteren Leben beiträgt. Diese Pferde sind von klein auf darin geschult, Bodenunebenheiten reflexartig auszugleichen. Das führt zu einem sicheren Gang auch bei ungünstigen Bodenverhältnissen.

Auch für unsere Arbeitshunde ist es wichtig, dass sie über unebenen Boden leicht laufen, ohne sich zu verletzen. Lahmheiten sind ein großes Problem beim arbeitenden Border Collie. Durch Schulung des Kleinhirns, das für die Bewegungskoordination zuständig ist, während der Zeit der Gehirnentwicklung kann man hier vorbeugen. Eine Aufzucht allein auf ebenem Zwinger- oder Wohnungsboden ist in dieser Hinsicht sehr ungünstig.

Ein Welpenauslauf kann mit den verschiedensten Dingen abwechslungsreich gestaltet werden. Ein liegender Baumstamm zum Klettern oder Tonröhren zum Durchkriechen werden ebenso gern angenommen wie von oben herabhängende Gegenstände zum Zerren und Schütteln. Hier sind der Phantasie keine Grenzen gesetzt, jedoch sollte immer die Verletzungsmöglichkeit im Auge behalten werden. Möglichkeiten für kleine Expeditionen und spielerisches Erkunden sind schön, aber wenn sie zu ernsten Verletzungen führen, haben sie ihren Sinn verfehlt.

Das extremste Beispiel, das ich bislang gesehen habe, war das im linken Foto zu sehende Spielzeug aus aufgehängten Blechdosen. Sie sollten die Welpen an Lärm gewöhnen. Besonders eine kleine Hündin benutzte sie als Spielzeug und versuchte die Dosen immer wieder totzuschütteln. Das alles mit einem Heidenkrach, der sie aber überhaupt nicht zu stören schien. Die Hündin hat bis heute ein ausgesprochen unerschrockenes Wesen. Natürlich ist diese Lärmunempfindlichkeit eine Ausnahme für einen Border Collie, aber auch diese Hündin musste sich erstmal an den Krach gewöhnen, bis sie ihn als harmlos erkannt hatte. Ihr macht Lärm sicher keine Probleme mehr im Leben. Wichtig ist nur, dass man keinen Welpen zu etwas zwingt.

An dieser Stelle ist es auch wichtig, darauf hinzuweisen, dass jegliche Bereicherung der Welpenumwelt in Maßen geschehen muss. Eine Reizüberflutung, die die Welpen überfordern ist äußerst gefährlich und kann genau zum Gegenteil des gewünschten Ergebnisses führen.

Von überragender Wichtigkeit für Welpen sind grundlegende Dinge wie Platz, Licht, Luft und Sonne. Ohne genügend Platz gibt es kein Explorationsverhalten und kein Kennenlernen neuer Dinge. Hilfreich ist es, Welpen schon bevor sie abgegeben werden, in verschiedene Umgebungen mitzunehmen, insbesondere wenn diese Welpen später in der Stadt leben sollen. Für Hunde, die sicher als Arbeitshunde nur auf dem Land leben werden, ist dies nicht so vorrangig. Allerdings besteht bei jedem Hund die Möglichkeit, dass sich durch unvorhergesehene Umstände sein Leben völlig ändern kann.

Die Größe des Platzes, der zur Aufzucht von Welpen und Junghunde zur Verfügung stehen muss, wird oft unterschätzt. Beengte räumliche Verhältnisse haben direkte Konsequenzen auf das Verhalten. Ohne genügend Platz zum Ausweichen bei Konflikten unter den Welpen oder zwischen Althunden und Welpen werden die Reaktionsmöglichkeiten eines Welpens auf Beschwichtigung oder Gegenaggression reduziert. Das ist ganz gefährlich, und die räumlich zu enge Haltung von Welpen und Junghunden sollte unbedingt vermieden werden. Sie kann zu schweren Verhaltensstörungen führen.

Beschwichtigungsversuche des unterlegenen Welpen werden von anderen Welpen anfangs noch nicht erkannt. Wenn dieser sich dann nicht aus der Einflusszone des Stärkeren zurückziehen kann, wird Gegenaggression (wenn Unterwerfung nicht hilft, muss man sich eben wehren) das wichtigste Verhalten bei Konflikten, oder es kommt zu ständiger Frustration des unterliegenden Welpens. Ein Ausweichen und abwartendes Beobachten ist auf engem Raum nicht möglich. Das ist eine ganz wesentliche Einschränkung des Verhaltensrepertoires, die häufig übersehen wird. Ganz gefährlich wird es, wenn es bei Junghunden oder erwachsenen Hunden später zu ernsteren Konflikten kommt, und dem Unterlegenen die Möglichkeit zum Ausweichen genommen wird, weil der Zwinger beispielsweise zu klein ist. Dies führt zu nicht nachlassender Aggression beim Stärkeren, und zu Frustration und Verzweiflung beim Unterlegenen. Depression und stereotyp ausgeführte Verhaltensweisen können die Folge sein.

Dr. med. vet. Viola Hebeler